Folgendes könnte zweifelsohne etwas esoterisch klingen: Die fremde Dame, die mir auf dem Weg zum Münchner Flughafen an der Bahn begegnet, wirkt auf unwirkliche Weise vertraut. Beinahe familiär. Hoch gesteckter, loser Dutt, vergnügte, wache Augen, umrahmt von einer hellen Brille; eine Sonnenbrille steckt ihr zudem im Haar.
Sie macht mich stutzig, denn in ihren weiten, schwarzen Kleidern – mit Rollkoffer in der Hand und einer Zeitung unter dem Arm – sieht sie eigentlich aus wie mein direktes Spiegelbild, gute vierzig Jahre älter. Ich, selbst mit Rimowa und einer Süddeutschen Zeitung in der Hand, passiere sie langsam. Unsere Blicke treffen sich, verharren kurz, sie lächelt mich an. Habe ich gerade eine ältere Version von mir selbst getroffen? Eher unwahrscheinlich, doch falls ja, dann ist mein zukünftiges Ich eine aufgeschlossene, alte Frau, die immer noch auf Reisen ist, mit leichtem Gepäck, einem hellen, neugierigen Blick und der Tageszeitung stets griffbereit.
Unterwegs in die USA fühle ich mich nach dieser etwas transzendenten Begegnung sehr fokussiert auf alle die Gründe, weshalb eine Reise so unersetzliche Lebenserfahrungen erzeugt. Vor allem, weil sie unsere Neugier stets eher befeuert, anstatt sie zu stillen. Und sicherlich auch dafür sorgt, dass man im hohen Alter noch mit wachem Blick und einem gütigen Lächeln durch die Welt geht.
Analog Travel Diary
From Boston to Portland
Von den Boston Red Sox zu den frischen roten Hummern
Eine Reise durch die Neuenglandstaaten in Boston zu beginnen ist beinahe unerlässlich, gehört die 1630 gegründete Stadt doch zu den ältesten Orten in den gesamten USA. Obschon moderne Institutionen wie die weltbekannte Harvard University, das renommierte, hiesige M.I.T. oder sogar das Symphony Orchestra dafür sorgen, dass Boston als hochmoderne, politisch progressive Großstadt gilt, liegt ihr Charme auch in den historischen Schauplätzen.
Die beiden Studenten Dev und Emma, die für Off The Beaten Path durch die gastronomischen Perlen ihre Nachbarschaft führen, legen nicht nur großen Wert auf die zentrale Rolle im Unabhängigkeitskrieg, die unter anderem auf dem »Freedom Trail« deutlich wird, sondern besonders auf den Sport. Allen voran stehen natürlich die Boston Red Sox. Wer Fenway Park, das legendäre Baseball-Stadion der Major League, besichtigt, bekommt ziemlich sicher auch die Anekdote des »Curse of the Bambino« zu hören, die von George Herman „Babe“ Ruth handelt: Er soll Boston in den Jahren 1915, 1916 und 1918 zum Sieg verholfen haben, und nach seinem Verkauf an die Yankees daran Schuld tragen, dass die Red Sox bis 2014 keinen Titel gewannen – die Yankees hingegen 26 mal….
Mit den zwei sportaffinen Studenten durch ihre Nachbarschaft zu flanieren, macht auch deutlich, wie zentral der Boston-Marathon räumlich wie sinnbildlich in den Stadtkern verankert ist, der kontinuierlich seit 1897 ausgerichtet wird. Tragischerweise wurden 2013 bei einem schweren Bombenanschlag drei Menschen getötet und über 170 verletzt. Das hält die Bewohner Bostons jedoch keinesfalls davon ab, ihr geliebtes Sportevent weiterhin jährlich abzuhalten.
Massachusetts schmeckt nach Meer
Kulinarisch gesehen ist die Hauptstadt Massachusetts natürlich stark von der Lage am Meer geprägt. Hippe, pulsierende Restaurantkonzepte wie die Select Oyster Bar bieten unfassbar frische Plateaux mit einer großen Variation frischer Meeresfrüchte und lokaler Fischspezialitäten. Und wer mal den Streifenbarsch mit geröstetem Babyfenchel, Artischockenpüree, Walnuss-Gremolata und Radieschen-Kresse-Salat gekostet hat, möchte eigentlich weder die Stadt, geschweige denn das Lokal, je wieder verlassen.
Apropos Meer und Kulinarik: Schön an Boston ist zudem, dass man nach Maine nicht besonders weit fährt. Eine angenehme Route empfiehlt sich entlang der Küste, um beispielsweise im Ort mit dem unaussprechlichen Namen einzukehren: Ogunquit. Der Ferienort, dessen Name ihm von den Abenaki-Ureinwohnern verliehen wurde und in etwa „Küstenlagune“ bedeutet, ist ursprünglich eine Siedlung von Wells gewesen, das bereits 1641 besiedelt wurde.
Auf urigen Cocktail Cruises lässt sich die Küste entlang schippern, und die Erkenntnis sich breit machen lassen, dass nicht nur Ogunquit, sondern die gesamte Bucht sehr malerisch ist. Schroffe Klippen, unterbrochen von weich gezeichneten, grasigen Hügeln, als wären sie vom Himmel geworfen worden, nach einem unerklärlichen Zufallsprinzip. Die gesamte Gegend nördlich von Ogunquit ist dünn besiedelt und fast ausnahmslos aus National Reserve ausgezeichnet. Eines davon ist nach Rachel Carson benannt, der US-amerikanische Zoologin, Biologin und Wissenschaftsjournalistin benannt. Ohne Zweifel eine der wichtigsten Frauen für die Gegenwart, denn ihr Hauptwerk als Autorin, »Silent Spring« (»Der stumme Frühling«) aus dem Jahr 1962, gilt im Bezug auf die darin thematisierte Pestizidproblematik als wichtiger Ausgangspunkt der US-amerikanischen Umweltbewegung.
Maine scheint in seiner Gesamtheit der Umwelt ohnehin sehr zugeneigt. Kein Wunder, es ist Heimat zahlreicher Elche und wunderbarer Naturareale, als nördlichster Bundesstaat der USA besonders für Seefahrtsgeschichte bekannt nur übersät mit Granit- und Fichteninseln.
„Take a bottle of red wine, as well!“
Steve, der Leuchtturmwart des Portland Head Light wird mir später erzählen, dass Fort Williams zwar lange Zeit wohl die größte wirtschaftliche Bedeutung für die Gegend hatte, weil es lange Zeit der Europa am nächsten gelegene Hafen gewesen sei, doch dass es noch viele weitere Leuchttürme an der Küste gäbe. Besonders empfiehlt er, ich solle keinen kleinen schunkeligen Kutter, sondern den »Mailboat Run« ausprobieren, ein altes Postschiff, das durch die gesamte Casco Bay vorbeiführe an Little Diamond, Great Diamond, Long, Cliff und Chebeague Island. „Take a bottle of red wine, as well!“, ist sein Tipp.
Doch machen wir uns nichts vor – ich bin nicht ausschließlich wegen Leuchttürme, Postschiffen und rotweingetränkten Sonnenuntergängen hier in Maine. Besonders berüchtigt ist die Gegend freilich für nichts anderes als Lobster. Lobster Rolls, Baked Stuffed Lobster, Lobster in allen Varianten, saftig, zartrosa und frisch, egal wie unscheinbar das Diner oder der Food Truck auch sein mag.
Portland, Maine gilt weithin als besonderer Tipp für Foodies. Wer sich nicht selbst auf Entdeckungstour machen möchte, ist mit der sehr schön arrangierten Old Port Culinary Walking Tour bestens beraten. Hier werden neben dem obligatorischen Lobster die unvergleichlich saftigen Kartoffelteig-Donuts von The Holy Donut getestet, gleichermaßen wie Craft Beer, frische Würste aber auch ofenwarme Scones mit der legendären Blueberry Jam von Stonewall Kitchen.
Spätestens in Portland wünsche ich mir – ein bisschen wehmütig –, den Gaumenschmaus, die viktorianische Stadtkulisse und das windige Hafenflair mit der alten Dame vom Bahnsteig zu teilen, sie auf paar Gläsern Chardonnay einladen zu können, und ihren eigenen Geschichten zu lauschen. (Sehr wahrscheinlich hat sie ein paar gute Ratschläge auf Lager, wie man die schönsten Entdeckungen und Begegnungen am lebendigsten in Erinnerung behält.)
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Alles über den Bundesstaat Massachusetts gibt es hier auf Massvacation – Reisen in Massachusetts.
Für allgemeine Informationen über Reisen in die USA gibt es auf der offiziellen Tourismus Seite Visit The USA.
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Photos & Text / Sonja Steppan
*This trip was made possible thanks to Brand USA / Discover New England / Massvacation
*The opinions expressed here represent, as always, the authors own.