Eine gewisse Würde analoger Fotos liegt darin, dass sie zumeist behutsamer geschossen werden, als digitale Schnappschüsse, weil der Kodak-Film dann eben doch fünf Euro kostet. Weil eine gute Weile für ihre Entwicklung eingeplant werden muss und auch, weil die Bilder letztlich ein haptisch wahrnehmbares Produkt ergeben.
In Rabat ist es nicht besonders einfach, Kenner zu finden, die sich der analogen Fotografie bedienen, geschweige denn, sie als Dienstleistungssektor betreiben. So dauerte es ein wenig, den betagten Ladeninhaber ausfindig zu machen, an dessen vergilbtem Türschild „Laboratoire de photos, développement et tirage, importation fournitures photographiques“ ausgewiesen stand. Für die Filmentwicklung ließ er sich je eine gute Woche Zeit, manchmal länger, wenn die faltigen Hände in der Dunkelkammer nicht nachkamen. Er verpackte die Farbdrucke stets sorgfältig in braune Papierumschläge, die er handschriftlich nummerierte.
Es kann gut möglich sein, dass er mittlerweile nicht mehr lebt, oder zumindest zu alt ist, alleine diesen händischen, Geduld erfordernden Beruf auszuführen. Ebenso denkbar, dass einer seiner Enkel den zentral gelegenen Laden längst in ein Fachgeschäft für digitale Spiegelreflexkameras und Speicherkarten verwandelte, oder dort einfach iPhone-Schutzhüllen, Handyverträge und SIM-Karten anbietet.
On The Streets Of… Rabat, Morocco
Kein Filmklassiker mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman…
Schwer zu sagen, denn ich bin lange nicht dort gewesen. In den Monaten, die ich in Rabat verbrachte, war ich mehrmals bei ihm Kundin, doch stets zu schüchtern, den freundlichen Greis nach seinem Namen, seinem Leben oder seinem eigenen fotografischen Geschick zu fragen. Vielleicht hatte er ohnehin keine Enkel und familiäre Verpflichtungen, sondern eine ungebrochene Passion für seine Kameras, einen von mir unerkannten Freigeist, eine ungestüme Biografie. Er mochte den Sultanspalast nicht nur für seine symbolische Funktion gekannt haben, war womöglich als Porträtfotograf der Familie des König Hassan II. beschäftigt gewesen, oder hatte durch die Kameralinse beobachtet, wie in den Sechziger Jahren das Mausoleum für Mohammed V. errichtet wurde.
Rabat verfügt nicht wie Marrakech über eine ausufernde, mittelalterliche Medina, die beinahe ein verwunschenes Labyrinth und seit 1985 UNESCO-Weltkulturerbe ist. Es wurde in Rabat kein Filmklassiker mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman in den Hauptrollen gedreht, wie in Casablanca, der dieser Stadt ein maximal romantisches Flair verlieh. Auch ist Rabat nicht für naturbelassene Strände oder Surfhotspots bekannt, wie anderswo rund um Agadir.
Hier, in der Hauptstadt, der weißen Königstadt an der nordwestlichen Küste, lassen hohe Mauern am Meer an eine Zeit im 17. Jahrhundert erinnern, in der Piraten Rabat als Stützpunkt gewählt hatten. Wer durch die Altstadt flaniert, streift durch kühne Säulen, farbige Grabstätten, an weiß oder blau verputzten Hauswänden entlang in unaufdringliche Gassen, in denen Tajine-Töpfe aus Keramik, opulenter Schmuck und Laternen aus Metall feilgeboten werden.
Zwischen Art-déco-Architektur und antiken Ruinen
Parallel zur ausladenden Andalusier-Mauer schließt sich ein Viertel an, das geradezu epochal in ein anderes Verständnis der Stadt platziert wurde; geschöpft aus Ressourcen, die sich in der französischen Kolonialzeit begründen: Die Ville Nouvelle ragt prächtig in die einstige Zukunft hinein und umfasst Art-déco-Hotels, Banken, Museen, ein Postgebäude. Die gläubigen Katholiken finden in der schneeweißen Kathedrale Saint-Pierre eine geistliche Heimat, in der sie an jedem Sonntag, gesäumt von inbrünstigen Chören, die Kommunion empfangen. Draußen vor der Kirche trifft man nach diesen Messen teils wohlhabende Franzosen, die hier postkolonial residieren und mit ihren SUVs aus dem Vorort zum Gottesdienst fahren. Zu Fuß gelangt man an der Straße entlang direkt zum Gare de Rabat Ville, dem man das Entstehungsjahr 1923 zwar ansieht, und über dessen strahlende Weißheit man sich gleichermaßen wundert.
Dieses unaufhörliche Aufeinandertreffen der Art-déco-Architektur, ersonnen unter dem französischen Protektorat, und einer Mélange aus massiv-ehrwürdigen almohadischen Relikten in der Altstadt, bis hin zu antiken Ruinen, die in der merinidische Totenstadt Chellah gipfeln, macht es nötig, dieser Hauptstadt Zeit zu geben. Zeit, sich erkunden zu lassen, Zeit sich zu entfalten mit allen Eindrücken, historischen Details, alltäglichem Geruhsam.
Diese Zeit verlangte mir auch der alte Fotolaborant und Ladenbesitzer ab, der eine Vielzahl möglicher Lebenswege in sich trug, aber nie preisgab. Einmal händigte er mir versehentlich zwei entwickelte Filme aus, die sich später als fremde Fotos herausstellten, als ich sie zuhause ansehen wollte. Selbst diese Verwechslung geschah auf ihre Weise beflissentlich, denn seither beschäftigt mich die Frage, wer auf den Bildern seine Reise dokumentiert hatte. Es waren darauf Kinder in traditionellem Gewand zu sehen, die Schlachtung einer Ziege – wohl für ein religiöses Fest –, ein paar amateurhaft in die Linse gehaltene Zeigefinger. Die Eindrücke stellen mir bis heute Rätsel.
Ich brachte dem Ladenbesitzer die fälschlich mitgegebenen Fotoabzüge freilich zurück und erhielt dafür meine eigenen, zeitlosen Momentaufnahmen, die mich an diese sonderbare Stadt voller Schätze, Steine und Spazierwege stets gerne erinnern.
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Photo / Sonja Steppan
So schön realistisch dargestellt und so sieht Marokko für mich auch aus, ganz anders als die überbunten Instagram Bilder danke für diese Momentaufnahmen Steph!
welche Kamera und welcher Film wurde für die Fotos benutz
Lieber Moritz, die Kamera die Sonja benützt hat war eine Canon EOS 3000V SLR mit einem Kodak Gold 200 Film. Liebe Grüße, Sonja & Alice