Die ersten Schlagwörter die einem einfallen, wenn man an Japan denkt, ist wahrscheinlich zunächst ‚traditionell‚, denn Tradition wird in Japan sehr groß geschrieben, sei es in Form einer Teezeremonie, der Sprache & dem Essen, den Geishas in Kyoto oder auch z. B. das Kirschblüten-Fest Hanami. Das zweite Wort was einem aber auch noch einfällt, ist ‚verrückt‚ und das kommt natürlich nicht von ungefähr: Menschenmassen die sich durch den Großstadtdschungel Tokyo drängen, Herzblutfans die gezeichnete Helden verehren oder auch die akkurate Ordnung, die in an den Arbeitsplätzen herrscht. Dies alles macht Japan zu einem kontrastreichen Reiseziel für Besucher aus der ganzen Welt, bei dem es einen nie langweilig wird.
Und nun komme ich zu einem dieser verrücktesten Traditionen, die ich auf meiner Japan-Reise erleben durfte – und nein, es ist kein 1. April Scherz, sondern die völlig nackte Wahrheit: Das shintoistische „Fest des stählernen Penisses„, Kanamara-Matsuri (かなまら祭) wird in Japan jährlich am ersten Sonntag im April im Kanayama-Schrein 金山神社 in Kawasaki gefeiert. Umgangssprachlich kennt man dieses Fest (matsuri) auch als ‚Penis Festival‚ und egal ob man live dabei war oder das nur auf Bildern mitverfolgt, das Fest wird genau so, wortwörtlich umgesetzt.
Japan’s Annual Penis Festival in Kawasaki
Das Fest des stählernen Penisses
Nach und nach füllen sich die Straßen und jeder versucht einen so guten Platz wie möglich für das Penis-Festival zu bekommen. In der Ferne hört man schon die Trommelschläge, die klangvollen Rufe der Träger, die die eisernen Phallus auf Mikoshis (hölzernen Sänften) in rhythmischen Bewegungen die Straße runter tragen. Allen voran Miko, Mitarbeiterinnen in Shinto-Tempel in ihren scharlachroten weiten Hosen und weißen Oberteilen. Ihr langes schwarzes Haar ist in einem Pferdeschwanz zusammengebunden und bewegt im Laufen rhythmisch im Takt. Auch Shinto-Prieser sind hier vertreten und zeigten sich in prachtvollen Gewändern, die die Besucher mit Ōnusa (Stab mit Papierstreifen), segnen.
Kanamara-Matsuri
Die Umzugsträger tragen traditionelle japanische Happis, leichte Baumwolljacken in unterschiedlichen Farben mit Mustern und leuchtenden Farben, wie Pink oder Gelb. Kunstvolle Tücher sind um die Hüften der Männer geschnürt, manche nur mit knappen Unterhosen bekleidet und dazu die passenden traditionellen Tabi-Schuhe. Andere wiederum kommen mit Perücke, viel Make-up und Mädchenschuluniform.
Die Penisse aus Eisen sehen recht schwer aus, doch die Träger lassen sich nichts anmerken und feiern feucht-fröhlich mit und animieren die Menschen mit ihrem Gesang und Rufen. Von der Ferne sah es aus, als würden diese Phallus auf den Sänften, die in den unterschiedlichsten Größen und Farben kamen, über die Köpfen der Menschen hinweg tanzen und der Menschenmenge zuwinken (auch wenn sie nicht unbedingt Hände haben)!
Auf den Straßen werden Süßigkeiten und Souvenirs in Phallusform verkauft, mit denen anschließend schön gepost und fleißig Selfies gemacht werden. Auch ich pose für einige Touristen und wundere mich, in welchem Fotoalbum auf der Welt ich mich nun wohl jetzt befinde.
Eine alte Legende der Ainu
Hervorgehend aus einer Legende der Ainu (アィヌ), eine von mehreren Urvölker Japans, soll so Kanamara-Matsuri entstanden sein. Die Legende erzählt von einem einst verliebten Dämon, der sich in der Vagina eines jungen Mädchens versteckte. Aus Eifersucht biss dieser Dämon mit seinen scharfen Zähnen die Penisse zweier junger Bräutigame in der Hochzeitsnacht des jungen Liebespaares ab. Ein Schmied fertigte einen eisernen Phallus an und brach damit die Zähne des Dämonen und so kam es, dass der Phallus einen eigenen Schrein, den Kanayama-Schrein in Kawasaki, bekam.
Das Hauptobjekt der Verehrung ist seither der Phallus und dient zum Schutz sexuell übertragener Krankheiten als auch für leichte Geburt und Heirat. Heute wird auch im Rahmen einer Spendenkampagne der Erlöse während dem Kanamara-Matsuri für die AIDS-Forschung verwendet.
Und nur nach einer Stunde ist die ganze Parade schon wieder vorbei und ich während sich die Straßen sich langsam leeren und ich noch den kleinen Mob hinter dem Umzug hinterhertrappen sehe, erschien mir dieses ungewöhnliche aber farbenfrohe „Fest des stählernen Penisses„ wie ein Tagtraum vor und ich frage mich, ob es irgendwo auf dieser Welt es auch ein Vagina-Fest gibt?
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Photo / Alice M. Huynh